„Ich fühle mich als Schwabe"

Im Gespräch mit Guido Buchwald

Das Stichwort „Japan“ fällt rasch, wenn man sich mit Guido Buchwald unterhält. Das Land ist für ihn im Laufe seiner Karriere zu einer zweiten Heimat geworden. Ankerpunkt ist für ihn aber zeitlebens ein kleines Dorf im Tübinger Raum, für das er so manches fußballerische Angebot ausschlug. Im Interview erklärt der ehemalige Fußballer von Weltruhm, was für ihn Heimat bedeutet, er berichtet von Freunden rund um den Globus und von Spätzle made in Japan.

Beinahe sein ganzes Leben hat Guido Buchwald im Tübinger Raum verbracht: „Ich bin zwar in Berlin geboren, als ich 18 Monate alt war, sind meine Eltern in die Nähe von Reutlingen gezogen“, erzählt er. Und ergänzt: „Ich fühle mich als Schwabe.“ Denn quasi sein gesamtes Leben hat er rund um Tübingen und Reutlingen gelebt, hat Schulzeit und Jugend hier verbracht, in einem kleinen Verein mit dem Fußballspielen angefangen und seine Frau gefunden: „Selbst als ich mehrere Jahre in Japan war, habe ich mein Zuhause nicht aufgegeben. Ich habe mein Haus in Walddorfhäslach behalten und bin immer wieder hierher zurückgekommen.“

Seine fußballerische Karriere beginnt Buchwald Ende der 1970er Jahre bei den Stuttgarter Kickers in der U19. „Das waren fünf super Jahre. Aber irgendwann stand der nächste Schritt für mich an“, berichtet Buchwald. „Damals buhlten viele Vereine um mich und ich hätte beinahe den Vertrag bei Borussia Mönchengladbach unterschrieben.“ Doch dann meldet sich der VfB Stuttgart – und Buchwald bleibt im Schwäbischen: „Ich wollte nie unbedingt weg aus meiner Heimat.“ Was folgt, sind elf erfolgreiche Jahre beim VfB, „das habe ich nie bereut. Der VfB ist zu meiner sportlichen Heimat geworden“, so Buchwald weiter. Denn auch nach seiner aktiven Spielerkarriere bleibt er dem Verein treu, unterstützte ihn beispielsweise im Talentscouting in Südostasien und fiebert bei Spielen mit.

Neben den Erfolgen in Stuttgart – zweimal deutscher Meister, Teilnehmer im UEFA- und DFB-Pokal-Finale – etabliert sich Buchwald in den 1980er Jahren in der deutschen Nationalelf. Eine Zeit, in der er viel unterwegs ist, andere Länder sieht und viele neue Menschen kennenlernt. „Das ist das schönste am Fußball: Man kann, ohne die Wurzeln zu verlieren, die ganze Welt sehen. Und überall kann man neue Freunde finden, denn Fußball verbindet länderübergreifend“, ist sich Buchwald sicher.

Familie ist für mich Lebensqualität. Es war nie mein Ding, in den Medien stark präsent zu sein. Ich habe für den Sport und für meine Familie gelebt und bin dabei geblieben, wie ich bin."

Als Spieler der Nationalmannschaft feiert er 1990 seinen größten Erfolg: In Italien gewinnt die deutsche Elf – gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien und gegen die Fuß-balllegende Diego Maradona – den Weltmeistertitel. Bei einem Trainingsspiel während der WM gelingt Buchwald ein Beinschuss, der Klaus Augenthaler ausrufen lässt: „Mensch, du spielst ja wie der Diego!“ Damit ist Buchwalds Spitzname besiegelt. „Wenn mich heute Menschen auf der Straße erkennen, egal ob in Deutschland oder in Italien, und ihnen mein richtiger Name nicht einfällt, dann begrüßen sie mich oft mit „Diego““, erzählt Guido Buchwald. Doch auch darüber hinaus hat das Großereignis seine Spuren hinterlassen. „Die Weltmeisterschaft war für mich sehr prägend“, erläutert Buchwald. „Sie ist für alle Nationalspieler besonders, aber für das deutsche Team hat damals alles gepasst. Wir waren in Top-Form und haben den Titel geholt. Das war eine sensationelle Zeit für mich.“ Trotz seiner Erfolge versucht Buchwald, nicht abzuheben: „Ich denke, das hat auch viel mit dem Charakter eines Einzelnen und mit der Erziehung zu tun.“ Aber auch die Familie gab ihm stets Rückhalt. „Familie ist für mich Lebensqualität. Es war nie mein Ding, in den Medien stark präsent zu sein. Ich habe für den Sport und für meine Familie gelebt und bin dabei geblieben, wie ich bin.“

1994 wechselt Buchwald zu Urawa Red Diamonds nach Japan – gemeinsam mit seiner Familie. „Ich habe mich dort sofort wohlgefühlt und viele Freunde gefunden“, berichtet er. Das habe auch daran gelegen, dass zwischen der japanischen und der deutschen, insbesondere der schwäbischen, Kultur viele Gemeinsamkeiten bestünden: „Dort ist alles sehr sauber, die Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit und man fühlt sich überall sicher“, berichtet Buchwald. Schnell wird er dort heimisch, lernt ein bisschen Japanisch: „Die Zeichen kann ich zwar nicht lesen, aber in den großen Städten ist auch vieles auf Englisch angeschrieben. Das hat manches erleichtert.“ Auch das japanische Essen hat es ihm angetan: „Sushi, Sashimi, Ramen – das ist eine tolle, gesunde Küche. In Deutschland vermisse ich das manchmal, obwohl es hier ja auch gute japanische Restaurants gibt.“ Andererseits fehlt ihm in Japan ab und an die schwäbische Küche: „Es gibt auch in Tokio einige Restaurants, die gut bürgerliches Essen anbieten. Und meine Frau hat in Japan auch schwäbisch gekocht, Spätzle zum Beispiel. Aber Maultaschen und Laugenbrezeln schmecken in der Heimat einfach besser.“ Buchwald merkt nach ein paar Jahren in der Ferne, dass trotz regelmäßigem Kontakt in die Heimat eine Form der Entfremdung einsetzt: „Wenn ich nach Hause, also nach Walddorfhäslach, gekommen bin, habe ich jedes Mal mehr gespürt, dass sich die Dinge weiterentwickelt haben. Dann musste ich wieder einiges lernen, um auf den neuesten Stand zu kommen.“ Manchmal waren es nur Kleinigkeiten, wie Buchwald ausführt: „Beispielsweise haben im Freundeskreis alle bestimmte Songs gekannt, von denen ich in Japan nichts gehört hatte.“ So zieht Guido Buchwald mit seiner Familie 1997 wieder zurück nach Deutschland. Er bringt einige Möbelstücke und Gegenstände aus Japan mit ins Schwäbische, seinen Garten zieren japanische Steinfiguren. Die Verbindung nach Asien bleibt.

Einige Zeit später – 2004 – kehrt er abermals für drei Jahre nach Japan zurück, diesmal als Trainer. Auch heute ist Buchwald häufig in Japan, mehrmals jährlich besucht er den Inselstaat – mal geschäftlich, mal privat. Die Gegensätze, auf die er in Tokio trifft, beeindrucken ihn: „Dort stehen moderne Hochhäuser und dazwischen finden sich winzige, alte Gebäude, wie zum Beispiel Waschhäuser. Dieses Einfache in einer Weltstadtfinde ich faszinierend.“ Dass sich dieses Nebeneinander der Gegensätze auf auch die Menschen übertragen lässt, erlebt Buchwald bei seinen regel-mäßigen Besuchen: „In der U-Bahn sitzt der Top-Manager neben dem einfachen Arbeiter – alle sind sozusagen auf einer Ebene, weil sich alle mit gegenseitigem Respekt begegnen.“

Über Guido Buchwald

  • Geboren 1961 in West-Berlin
  • 1978/79 Deutscher A-Jugendmeister mit den Stuttgarter Kickers
  • 1984 und 1992 Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart
  • 1990 Fußballweltmeister
  • 1994 Wechsel zu Urawa Red Diamonds (Japan)
  • 1997 Rückkehr in die Bundesliga für den Karlsruher SC
  • 2001 Aufstieg mit dem KSC als Manager (Sportmanager)
  • 2001 Sportdirektor bei den Stuttgarter Kickers
  • 2004–2006 Trainer der Urawa Red Diamonds Japan)
  • 2006 Trainer des Jahres in Japan
  • 2010–2013 Präsidiumsposten bei den Stuttgarter Kickers
  • 2012 Aufstieg mit den Stuttgarter Kickers (Sportdirektor)
  • 2014–2017 Mitglied des Ehrenrats beim VfB Stuttgart
  • 2015 Scout auf dem asiatischen Markt für den VfB Stuttgart
  • 2017–2018 Mitglied des Aufsichtsrats beim VfB Stuttgart

Respekt, Unterstützung, Hilfe – das sind nicht nur Werte, die Guido Buchwald schätzt, die er seinen eigenen Kindern mit auf den Weg gegeben hat, sondern sie sind auch Antrieb und Ausdruck seines ehrenamtlichen Engagements: „Ich habe so viel Glück in meinem Leben und möchte einen Teil davon gerne weitergeben. Helfen ist für mich etwas ganz normales.“ Der ehemalige Fußballprofi unterstützt einen Förderverein für krebskranke Kinder und ist Botschafter einer Familienherberge, die Familien mit schwerstkranken Kindern eine Auszeit ermöglicht. Buchwald, der nicht nur Sportler und Trainer war, sondern auch eine Ausbildung zum Elektroinstallateur absolvierte, Unternehmen gegründet hat und sich eben sozial engagiert, hat Freude daran, Neues zu entdecken und weiter zu lernen: „Das Leben ist immer interessant. Die Neugier treibt mich an, dazuzulernen und mich weiterzubilden. Ich schätze es sehr, in einem Land zu leben, in dem das alles möglich ist.“ Nach Tagen mit besonders vielen Terminen, findet Buchwald die notwendige Entspannung in den eigenen vier Wänden: „Zuhause komme ich zur Ruhe, kann auftanken und runterkommen.“ Generell spielt das Zuhause für ihn eine wichtige Rolle. „In den großen Zeiten war ich oft das halbe Jahr unterwegs. Dann war ich immer froh, nach Hause zu kommen. Das ist übrigens bis heute so“, fügt Buchwald an, „wenn ich innerhalb Deutschlands unterwegs bin, versuche ich immer, abends nach Hause zu fahren – selbst wenn ich erst nachts ankomme.“ Sein Heimatort Walddorfhäslach liegt verkehrsstrategisch günstig; Buchwald ist in kurzer Zeit am Flughafen und auch schnell in Stuttgart. Was ihm an der Landeshauptstadt gefällt? „Natürlich die VfB-Heimspiele – da bin ich immer im Stadion“, antwortet Buchwald. Aber auch die Stadt im Allgemeinen mag er: „Der Schlossplatz, die Flaniermeilen – das hat schon Flair. Nichtsdestotrotz schätze ich mein Zuhause im ländlichen Raum. Dort ist alles viel ruhiger und weitläufiger.“ Während der Corona-Pandemie hat Guido Buchwald mehr Zeit zuhause verbracht: „Ich habe dann viele Dinge erledigt, die liegengeblieben sind, zum Beispiel im Garten. In der Zeit habe ich auch das Haus noch mehr geschätzt, und ich habe es genossen, im Garten zu sitzen und zu entspannen.“ Generell hat er mehr Zeit im Grünen verbracht: „Ich bin mehr gelaufen, war viel mit den Hunden unterwegs und habe die Natur bewusster erlebt.“

Heimat definiert Buchwald als ein Zuhause, in dem er Geborgenheit erfährt. „Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, wo jeder die gleiche Einstellung und Kultur hat, wo man sich sicher fühlt und sich gegenseitig unterstützt. Zuhause zu sein ist ein ganz besonderes Gefühl. Daher ist Japan auch meine zweite Heimat: Ich komme dort unglaublich gerne hin, weil ich weiß, was mich erwartet.“ Es sind vor allem Personen, die Buchwald ein Heimatgefühl vermitteln: „Menschen, mit denen man gerne und lange zusammen ist, machen die Heimat aus. Wenn man eine gemeinsame Sprache spricht, also die gleichen Ziele verfolgt, fühlt man sich schnell zuhause.“ Und er ergänzt lachend: „Schwäbisch bruddeln kann natürlich auch Heimat sein.“