„Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine gesellschaftliche, generationenübergreifende Aufgabe"

Im Gespräch mit Dr. Mathieu Riegger, Leiter Strategisches Energiemanagement

Dr. Mathieu Riegger zeigt sich zuversichtlich im Hinblick auf die SWSG-Klimaziele.
Dr. Mathieu Riegger zeigt sich zuversichtlich im Hinblick auf die SWSG-Klimaziele.
Wie geht man das an – die Entwicklung einer Klimastrategie?  

Wir haben uns bei der Entwicklung unserer Klimastrategie an drei zentralen Fragen orientiert: Wo stehen wir, wo wollen wir hin und wie erreichen wir unsere Ziele? Im ersten Schritt haben wir also eine Treibhausgasbilanz für unseren gesamten Bestand erstellt und die seit 2010 erreichten Emissionsminderungen ermittelt. Darauf aufbauend haben wir unsere auf dem Weltklimavertrag von Paris basierenden SWSG-Klimaziele definiert: Wir wollen und werden unsere quadratmeterbezogenen Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2010 bis 2030 um 35 bis 40 Prozent senken. Hierfür haben wir die erforderlichen Maßnahmen definiert und diesen jeweils ambitionierte, aber dennoch realistische Zielwerte zugeordnet. Berücksichtigt wurden dabei auch unsere Erfahrungen, welche Einsparungen mit den bisherigen Maßnahmen erreicht werden konnten.

Mussten bei der Zielsetzung auch Kompromisse eingegangen werden?

Natürlich! Bei der Festlegung der Maßnahmen und Ziele haben wir abgewogen, wie wir unsere übergeordneten Klimaziele möglichst kosteneffizient erreichen können. Unsere Kernaufgabe ist schließlich die Bereitstellung von lebenswertem und zugleich preisgünstigem Wohnraum. Grundlage unseres Handelns ist daher stets die Überlegung, wie wir mit jedem eingesetzten Euro die größtmögliche CO2-Einsparung erreichen können.

Können Sie uns das an einem Beispiel erklären?

Nehmen wir einen unsanierten Altbau als Beispiel, der einen Endenergieverbrauch von 200 kWh Gas je Quadratmeter Mietfläche und Jahr aufweist – der größte Teil davon entfällt auf Wärmeverluste über die ungedämmte Gebäudehülle. Auf Warmwasser und Lüftungswärmeverluste entfallen jährlich ca. 70 kWh/m². Durch eine umfassende energetische Modernisierung der Gebäudehülle kann der Endenergieverbrauch auf ca. 100 kWh/m² pro Jahr reduziert werden. Eine weitere Verminderung des Wärmeverbrauchs ist praktisch kaum möglich – auch nicht im Neubau. Denn der Verbrauchssockel für Warmwasser und zum Ausgleich von Lüftungswärmeverlusten bleibt auch nach der Modernisierung bestehen. Eine Reduzierung könnte zwar durch Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung erreicht werden, aber diese sind unter anderem aus Gründen des Einbau- und jährlichen Wartungsaufwands in Mehrfamilienhäusern nicht in der Breite einsetzbar.

Stellen wir uns nun ein Gebäude vor, dessen Fassade Anfang der 1990er Jahren mit einer Dämmstärke von 6 cm energetisch modernisiert wurde und heute einen jährlichen Gasverbrauch von 130 kWh/m² aufweist: Eine Aufdopplung der Wärmedämmung würde bei diesem Gebäude hohe Investitionskosten, aber lediglich geringe Einsparungen beim Energieverbrauch und damit bei den Nebenkosten bedeuten. Denn auch bei diesem Gebäude kann der Gasverbrauch durch die Verbesserung der Gebäudehülle kaum tiefer als auf 100 kWh/m² pro Jahr abgesenkt werden.

Was bedeutet diese Erkenntnis für die SWSG-Klimastrategie?

Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist für Gebäude mit einem jährlichen Gasverbrauch von weniger als ca. 150 kWh/m² neben der Umsetzung bedarfsgerechter Einzelmaßnahmen vor allem eine Umstellung auf erneuerbare Energien sinnvoll und erforderlich. Wir brauchen also eine umfassende Wärmewende – und zwar nicht nur durch gebäudebezogene Lösungen wie Wärmepumpen,
sondern mindestens genauso durch die Verfügbarkeit bezahlbarer grüner Nahwärme. Und natürlich muss auch die Fernwärme in Stuttgart grün werden. Für Gebäude mit einem Gasverbrauch von mehr als 150 kWh/m²/a kommt zur Wärmewende eine grundlegende energetische Modernisierung der Gebäudehülle dazu. Unser Ziel ist es, bis 2035 alle Gebäude mit einem Gasverbrauch von mehr als 150 kWh/m²/a energetisch zu modernisieren und damit die Voraussetzungen zur Erreichung der Klimaneutralität zu schaffen.

Grundlage unseres Handelns ist stets die Überlegung, wie wir mit jedem eingesetzten Euro die größtmögliche CO2-Einsparung erreichen können.“

Die Klimastrategie steht – wie geht es jetzt konkret weiter?

Jetzt gilt es, unsere Klimastrategie in die Tat umzusetzen. Dementsprechend finden die angesprochenen Aspekte aktuell Berücksichtigung in unseren Bauprogrammen der nächsten Jahre. Die Auswahl der Modernisierungsprojekte erfolgt dabei unter Berücksichtigung zahlreicher Aspekte, wie dem Allgemeinzustand der Gebäude und vor allem auch unter dem Aspekt der größtmöglichen Hebelwirkung für den Klimaschutz.

Welche Erfolge konnte die SWSG bereits verzeichnen?

Ein Beispiel, das bisher noch gar nicht zur Sprache kam: Seit Anfang 2020 setzen wir bei all unseren Neubauten und Modernisierungen, wo immer es möglich ist, PV-Anlagen ein. Dazu verpachten wir die Dächer an Dienstleister, wie die Stadtwerke Stuttgart, die unseren Mieterinnen und Mietern im Gegenzug für die sehr geringe Dachpacht ein vergünstigtes Mieterstromangebot machen. Dieses Modell wollen wir zeitnah im gesamten Bestand ausrollen.

Auf welche Projekte freuen Sie sich besonders?

An dieser Stelle könnte ich jetzt von unserem Plusenergie-Leuchtturmprojekt am Prießnitzweg schwärmen, dessen Bau demnächst beginnt. Am meisten freue ich mich jedoch auf unsere ersten Projekte im Bestand, bei denen wir Wärmepumpenlösungen oder grüne Nahwärme aus Quartiersversorgungen einsetzen. Denn ohne eine Wärmewende ist die Klimaneutralität im Gebäudebereich nicht zu erreichen – hier haben wir in Stuttgart mit der topografisch bedingt geringen Fern-wärmeabdeckung besondere Herausforderungen zu meistern.

Können auch Mieter*innen etwas zum Klimaschutz beitragen?

Ja, sogar eine ganze Menge! Eine Verringerung der Raumtemperatur um 1 °C führt beispielsweise zu einer Reduzierung des Heizenergieverbrauchs um ca. 6 Prozent. Beim Lüften gibt es ebenfalls einige Tipps: Eine dauerhafte Kipplüftung ist energetisch sehr schlecht und führt zu ausgekühlten Wänden und Schimmelrisiko – daher lieber stoßlüften. Direkte Einflussmöglichkeiten haben die Mieter*innen auch beim Warmwasserverbrauch: Wer duscht, anstatt ein Vollbad zu nehmen, kann sehr viel Wasser und Energie einsparen.

Haben Sie im Hinblick auf den Klimawandel manchmal das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen?

Ich würde nie gegen Windmühlen oder Windräder kämpfen – wir brauchen deren Ökostrom als Antriebsenergie für unsere Wärmepumpen! Nein, ganz im Ernst: Diese Momente gibt es natürlich. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass der Kampf gegen den Klimawandel – nicht zuletzt dank Fridays for Future – immer mehr als gesellschaftliche, generationenübergreifende Aufgabe begriffen wird. In der SWSG nehme ich jedenfalls seit meinem ersten Arbeitstag auf allen Ebenen ein sehr großes Interesse an diesem Thema und die absolute Bereitschaft zur Umsetzung der erforderlichen Veränderungen wahr.

Bei der SWSG nehme ich auf allen Ebenen die absolute Bereitschaft zur Umsetzung der erforderlichen Veränderungen wahr.“